Ruhrtriennale - Festival der Künste
»Warum, o Chaos, versuchst Du, die Welt in Unordnung zu bringen?« fragt die Liebe in Leonhard Lechners hellsichtigem Hochzeitslied Quid, Chaos für 24 Stimmen. Wo immer das Huelgas Ensemble unter Paul Van Nevel auftritt, scheinen den Klangräumen keine Grenzen gesetzt, wird das Chaos in geordnete Bahnen geleitet. Den Auftakt zur Intendanz von Barbara Frey machte 2021 ein Konzert im Morgengrauen auf Zeche Zweckel. Drei Jahre später findet diese künstlerische Ära nun ihren Abschluss mit einem nächtlichen Konzert in der Bochumer Jahrhunderthalle, das allein der menschlichen Stimme gehört. Das gefeierte belgische Vokalensemble – nach 2021 erneut bei der Ruhrtriennale zu Gast – öffnet dem Publikum nahezu überirdische Klangsphären. In fließenden, scheinbar nie enden wollenden harmonischen Entwicklungen zeigt sich die Kunst der Polyphonie in all ihren Facetten: von Josquin Desprez’ Qui habitat, einem Gipfelwerk kanonischer Kompositionskunst, in dem die 24 Stimmen einen magisch-schwebenden Raumklang erschaffen, über ein Perpetuum mobile von Pieter Maessins und die Klangpracht von Robertus Wylkynson bis hin zum meisterhaften Kontrapunkt Claudio Monteverdis. Den Kern dieser Reise durch die Vielstimmigkeit der Renaissance bildet Antoine Brumels spektakuläre Messe Et ecce terræ motus. Schon zur Entstehungszeit wurde das Werk seiner unerhörten Kühnheit wegen gerühmt. Europa erlebte um das Jahr 1500 einen ähnlich radikalen Umbruch der Werte wie in der heutigen Zeit. So schrieb Brumel mit seiner 12-stimmigen »Erdbebenmesse« eine Art Zukunftsmusik, die die Vision einer besseren Welt entwirft. Und schließlich wird auch die Liebe in Leonhard Lechners Quid, Chaos überzeugt, trotz aller Miseren, die die Welt erdulden muss, in ihr zu verweilen, da es für die Liebe doch immer einen Platz geben müsse.